Asfa-Wossen Asserate : Manieren

Von der Kunst des gesellschaftlichen Umgangs

Manieren sind wieder in Mode gekommen. Benimm-Ratgeber füllen die Regale der Buchläden, in Seminaren kann man sich gehobene Umgangsformen aneignen und sogar bei der Jugend meint man ein gestiegenes Interesse an Knigge & Co. auszumachen. Insofern trifft Asserates viel besprochenes und hoch gelobtes Sachbuch einen Nerv der Zeit.

Es geht in diesem Buch allerdings um sehr viel mehr als um konkrete Hilfestellung in Fragen alltäglicher Anstandsregeln. „Manieren“ von Asfa-Wossen Asserate ist eine Kulturgeschichte unserer überkommenen Höflichkeitsformen, zeichnet das Bild des gesitteten und feinsinnigen gesellschaftlichen Umgangs und begründet meist auch, warum dies und jenes so ist oder so sein sollte. Man muss mit dem Autor keineswegs immer einer Meinung sein, seine Betrachtungen sind aber in jedem Fall anregend und reizen zum Nachsinnen.

Asserates Blick auf die jahrhundertealte Tradition europäischer Manieren, mit besonderem Schwerpunkt auf ihre Ausprägung in Deutschland, ist deswegen so faszinierend, weil es der Blick des Fremden ist. Der Autor, 1948 in Addis Abeba geboren, ist ein Prinz aus dem äthiopischen Kaiserhaus. Nach der äthiopischen Revolution 1974 kam er nach Deutschland, lebte aber auch längere Zeit in England. Er studierte in beiden Ländern Jura und Geschichte, war zunächst als Journalist tätig und arbeitet heute als Unternehmensberater.

Europa und Afrika haben sich in Asserates Perspektive ineinander verwoben: das Fremde und das Eigene, das eigene Fremde und das fremde Eigene. Diese Brechung der Perspektiven geschah aber nicht unmerklich, sondern offenbar sehr bewusst, und es wurde keine undifferenzierte Vermischung der Perspektiven daraus (wie das heute in vielen multikulturellen Lebensläufen fast zwangsweise zu geschehen scheint).

Konkret bedeutet das, dass Asserate häufig europäische Manieren verständlich macht, indem er sie mit afrikanischen Augen ansieht und mit Erzählungen aus seiner „prinzlichen“ Erziehung kontrastiert.

Asserate sieht unsere Manieren nicht nur mit dem wohlwollenden Blick des Fremden an, er schreibt auch über sie in einer Sprache, die ihm ursprünglich fremd war, in der er aber ganz offenbar völlig heimisch geworden ist und die er auf bewunderungswürdige Weise beherrscht. Selbst wenn man es für eine reichlich überflüssige Sache hält, sich mit der Frage des Handkusses beispielsweise auseinanderzusetzen – ein Lesevergnügen ist dieses wie jedes andere Kapitel in Asserates Buch allemal.

Autoren und Autorinnen, die auf „Deutsch als Fremdsprache“ schreiben, haben oft eine besonders charmante oder eigenwillige Art, sich dieses für sie ursprünglich fremden Ausdrucksmittels zu bedienen. Es gibt seit vielen Jahren einen Literaturpreis, den „Adelbert-von-Chamisso-Preis“, der genau diesem Umstand Rechnung trägt und literarische Werke und Autoren nicht-deutscher Muttersprache auszeichnet. Rafik Schami ist zum Beispiel ein prominenter Chamisso-Preisträger, ebenso Szusza Bánk, deren Buch „Der Schwimmer“ ich im Februar 2005 besprochen habe. Asfa-Wossen Asserate gehört ebenfalls zu den Preisträgern vergangener Jahre, und das ist nicht der schlechteste Grund dafür, sich von ihm die „Manieren“ auf höchst unterhaltsame und gleichzeitig instruktive Weise erklären zu lassen!

 

Asfa-Wossen Asserate: Manieren. Eichborn-Verlag, Frankfurt/M. 2003 (Die Andere Bibliothek, Bd. 226). 388 Seiten.

Besprechung vom Juni 2005

Sabine Skudlik