Johanna Adorján : Eine exklusive Liebe
Eine faszinierendes Leben im Rückblick
In drei große Abschnitte lässt sich das Leben von Vera und István einteilen, das in der Neuerscheinung „Eine exklusive Liebe“ von Johanna Adorján erzählt wird: das Leben ihrer Großeltern. Es beginnt im gehobenen Budapester Bürgertum. István, junger aufstrebender Chirurg, wird Vera bei einem Privatkonzert vorgestellt. Die gemeinsame Liebe zur Musik bleibt ein bestimmendes Element ihrer Beziehung. Die beiden heiraten 1942, als der Krieg seine Schatten noch nicht nach Budapest wirft.
Das ändert sich mit dem Einmarsch der Deutschen im März 1944. István und Vera sind beide jüdischer Herkunft: Sie kann sich und ihr Baby, das im Herbst 1944 zur Welt kommt, bis Kriegsende verstecken, er kommt zum Arbeitsdienst nach Polen, wird von dort ins KZ Mauthausen verschleppt und später ins Lager Gunskirchen, das Anfang Mai 1945 von den Amerikanern befreit wird. Wie es ihm dort ergangen ist und wie er überleben konnte, auch wie Vera sich und das Kind durch den Krieg gerettet hat, wird die Familie nie genauer erfahren: „Davon sprechen wir nicht.“
Das 2. „Lebenskapitel“ dauert bis 1956. István wird Leiter einer orthopädischen Klinik und tritt (aus opportunistischen Gründen?) in die Kommunistische Partei ein. Vera arbeitet als Physiotherapeutin. Die Niederschlagung der politischen Reformbewegungen 1956 setzt den Schlusspunkt hinter diese Phase. Kurz entschlossen wagt das Paar mit seinen mittlerweile zwei Kindern die Flucht. Sie gelingt, und die Familie findet eine neue Heimat in Kopenhagen. Hier beginnt das 3. Kapitel. István und Vera können erneut erfolgreich in ihren Berufen arbeiten, die Kinder gründen selbst Familien und die Enkel haben ein liebevolles Verhältnis zu den Großeltern. Die beiden sind ein schönes Paar, glamourös geradezu, gebildet, kultiviert – mit einem Hauch von Exzentrik.
Dieser letzte Lebensabschnitt findet 1991 ein jähes Ende. István ist schwer herzkrank und hat nach Auskunft der Ärzte nur noch wenige Monate zu leben. Der Gedanke, ohne ihn sein zu müssen, ist der mittlerweile 71-jährigen, kerngesunden Vera unerträglich. So reift ihr Entschluss, sich gemeinsam das Leben zu nehmen. Es gibt Andeutungen, aber eingeweiht ist eigentlich niemand. Hand in Hand in ihrem Ehebett liegend scheiden die beiden als Paar aus dem Leben. So groß, so unverbrüchlich, so unwiederbringlich ist diese „exklusive“ Liebe, dass sie im Recht auf ein selbstbestimmtes Ende sogar die nächsten Angehörigen ausschließt.
Johanna Adorján ist zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre alt. 16 Jahre lang unterwirft sich die Enkelin dem unausgesprochenen „Schweigegebot“, mit dem die Familie unhinterfragt das „Davon sprechen wir nicht!“ der Großeltern weiterträgt. Doch dann beginnt sie, die inzwischen erfolgreiche Autorin und Journalistin geworden ist, mit der Recherche.
In ihrem Buch verschränkt sie die Beschreibung des letzten Lebenstages, so wie sie ihn sich vorstellt, mit den Ergebnissen ihrer Nachforschungen, einer Vielzahl der Stimmen, die sie zum Leben und Charakter ihrer Großeltern gehört hat und eigenen Reflexionen.
Es ist ein sehr persönlicher Zugang zu diesem gemeinsamen Lebensweg zweier besonderer Menschen, einem Weg, der durch einige der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts gelenkt wurde, und der bei der Nachgeborenen auch Fragen nach der eigenen Identität aufwirft: Wie vertraut sind mir diese Großeltern eigentlich? Habe ich sie wirklich gekannt? Wie ähnlich bin ich ihnen? Wieviel jüdische Identität – wenn es diese gibt – steckt in mir selbst?
Das Ergebnis ist ein ungemein dichter und anrührender Text, der niemals sentimental wird, dafür sorgt schon der manchmal schnoddrige Ton und der kalkuliert eingesetzte Humor, der die unverkennbare Liebe und Bewunderung der Enkelin für ihre Großeltern in einem schützenden Abstand hält. „Es war ein Sonntag. Eigentlich nicht der ideale Wochentag für Selbstmorde (…), ein Montag zum Beispiel erschiene mir viel geeigneter.“
Dieses Buch – es ist soeben erschienen – wird viele Leser/innen haben. Sie werden fasziniert sein von seinen beiden Hauptpersonen, die aus einer untergegangenen Epoche stammen, aber auch von diesem besonderen Ton, in dem über ihr Leben und Sterben erzählt wird: einem Ton von gleichzeitig jugendlicher Unverblümtheit, liebevoller Diskretion und schwebender Eleganz.
Johanna Adorján: Eine exklusive Liebe. Roman. Luchterhand Literaturverlag München 2009. 192 Seiten.
Besprechung vom Feb. 2009