Johanna Adorján : Geteiltes Vergnügen
Liebe zwischen Freiheit und Verlustangst
„Geteiltes Vergnügen“ spielt überwiegend in München. Wir begegnen trendigen Leuten. Nicht mehr ganz jung, irgendwo zwischen 30 und 40. Jung genug, um zu meinen, ziemlich viel Leben liege noch vor einem. Und alt genug, um schon Beziehungen entstehen und viel zu oft scheitern gesehen zu haben, bei sich und anderen. Erfahren genug, um sich vermeintlich keinen Illusionen mehr hinzugeben, aber nicht abgebrüht genug, um nicht doch noch verwundbar zu sein. Im besten Alter, um immer noch der Sehnsucht auf den Leim zu gehen, und anderen Süchten womöglich auch.
Diese mitteljungen Leute, die sich alle in denselben Kreisen bewegen, sind weltoffen und weltgewandt, sind entweder Musiker:innen oder Künstler:innen oder Autor:innen oder Filmemacher:innen. Zumindest gehören sie zum Gefolge einer wie auch immer kreativen Szene und zum dazugehörigen Partyvolk. Auf Partys vor allem trifft man sich. Jede/r kennt jede/n – irgendwie.
In diesem Setting laufen sich Jessica und Tom zum wiederholten Mal über den Weg und aus einem unverbindlichen Anfang mit großartigem Sex – denn in diesen Kreisen hat man erst Sex und überlegt sich danach, ob irgendeine Art von Beziehung damit zu tun hat – wird recht schnell eine kleine love affair. Zumindest Jessica scheint sich verliebt zu haben, aber wie das bei Tom ist, weiß weder sie, noch der Leser oder die Leserin, noch scheint es Tom selbst zu wissen. Bei aller Zuvorkommenheit, die er zeigt, bei aller Innigkeit, die er bei ihren Begegnungen zulässt, versucht er sich ihr immer wieder zu entziehen und sie auf Abstand zu halten. Der Klappentext formuliert das verhalten optimistisch und durchaus neugierig machend: „Bietet er ihr eine Liebe, die freier ist und ehrlicher?“ Jessica allerdings wirkt zunehmend unfrei, immer mehr kreist sie um Tom, immer verstrickter wird sie in die offenbar einseitige Liebesgeschichte, von der die Leserin ahnt, dass sie nicht gut ausgehen kann.
Damit ist die Handlung des Romans fast schon erzählt. Ein nicht unbedeutender Nebenstrang beschäftigt sich darüber hinaus mit der Beziehung der Protagonisten zu ihren Eltern: mit den seinen ist Tom in glühender Liebe, Jessica mit den ihren in freundlicher Distanz verbunden. Diese Eltern würden durchaus als Vorbilder einer gelingenden Paarbeziehung taugen, aber es wirkt so, als ob diese Art von Verbindlichkeit aus der Zeit gefallen ist. – Dazu passt ein weiteres Thema in den Gefühls- und Gesprächswelten des Romans: eine mögliche, vage Liebe der Protagonisten zu Kindern, die sie noch nicht haben, die sie sich aber (vielleicht?) wünschen.
Kurzum: Im Grunde geht es um nicht weniger als um existenzielle Fragen nach Liebe und Verlust, nach Vertrauen und Hingabe, nach Sehnsucht und Scheitern – dies alles aber in einer Lebenswelt, die auf den ersten Blick von unverbindlicher Oberflächlichkeit, schnellem Sex und fast gewohnheitsmäßigem Drogenkonsum geprägt ist.
Johanna Adorján, deren fulminanter Bestseller „Eine exklusive Liebe“ sich durch den lakonischen Stil auszeichnete, mit dem sie 2009 eine Geschichte von Leben und Tod erzählte, hat für dieses eben erst erschienene Buch erneut einen sehr stimmigen Ton gefunden. Ihre Ich-Erzählerin Jessica, Journalistin und Autorin wie sie selbst, kann mit wenigen treffenden, nur ganz leise boshaften Worten die „hippen“ Szenegestalten, die den Roman bevölkern, entzaubern und die Vordergründigkeit ihres Daseins schonungslos darstellen. Aber mit demselben, manchmal gleichsam schwebenden Ton lässt die Autorin die Faszination, die von Tom ausgeht, erahnen, lässt kleine Gesten sichtbar und Schwingungen spürbar werden, aus denen unerhörte Nähe entsteht. So wird die Sehnsucht nach Beziehung ebenso greifbar wie die Angst davor, verletzt oder verlassen zu werden.
Erzählerisch – mit seiner strikt weiblichen Perspektive – ist dieses Buch überaus gelungen und zieht einen schnell in seinen Bann. Aber die Geschichte ist schonungslos deprimierend und hinterlässt den Leser, vielleicht noch mehr eine Leserin, ziemlich mitgenommen, oder zumindest ratlos. Dass die Mitspieler:innen in der abgebildeten „Szene“ mit ihren fragilen Beziehungen und all ihren Ängsten womöglich ein realistisches Abbild eines Großteils der heutigen „Thirtysomethings“ sein könnten, mag man sich lieber nicht vorstellen.
Johanna Adorján: Geteiltes Vergnügen. Roman. Hanser Berlin 2016. 208 Seiten.
Besprechung vom März 2016