Eva Baronsky : Herr Mozart wacht auf
Zweimal Mozart – mit Verbindungen zum Jazz
Wolfgang Amadeus wacht im Jahr 2006 in einer Wiener WG auf. Noch am Vorabend, am 4. Dezember 1791, wähnte er sich im Todeskampf. Doch plötzlich findet er sich in einer Welt wieder, in der er sich nicht auskennt. Musik kommt aus dem Nichts, Orchesterklang tönt aus schwarzen stoffbespannten Kisten, Fuhrwerke ohne Pferde rasen in angsteinflößender Geschwindigkeit durch die Straßen, und in seinem geliebten Wien ist außer dem Stephansdom fast nichts wiederzuerkennen.
Die Bewohner der WG wissen auch nicht so genau, wie der komische Typ zu ihrer Party gestoßen ist, auf jeden Fall hat er wohl deutlich zu viel getrunken. Sie versorgen ihn mit ein paar ausgedienten Klamotten und befördern ihn aus ihrer Wohnung.
Wie sich zurechtfinden in dieser beängstigend verrückten Welt? Der Zufall – oder die Vorsehung? – kommt immer wieder zu Hilfe. Wolfgang stößt auf Musiker oder Musikliebhaber, die ihm Schritt für Schritt weiterhelfen, ohne dass sie wissen, mit wem sie es zu tun haben. Denn dass der Herr „Compositeur“ sich lieber nicht als Mozart vorstellen sollte, das wird ihm recht bald klar.
Schon häufiger haben Schriftsteller*innen historische Personen in einer für sie fremden Zeit auftauchen lassen. Man könnte so einen Plot mit billigen Gags ausfüllen. Nicht so Eva Baronsky in ihrem Roman „Herr Mozart wacht auf“. Auf luftig-leichte Weise spielt sie mit der Person Mozarts, wie wir sie zu kennen glauben, auch mit den Klischees, die sich um seinen burlesken Genius entwickelt haben.
Es ist sehr amüsant zu verfolgen, wie Mozart sich im Jahr 2006 nach und nach zurechtfindet, wie er den heutigen Musikbetrieb mit dem seiner Epoche vergleicht, wie er unsere laute und schnelllebige Zeit mit Tonarten und Tempobezeichnungen zu fassen versucht. Großartig, wie Baronsky Mozarts Ausdrucksweise nachahmt, die aus zahllosen Briefen authentisch überliefert ist; wie sie ihn in die Musik unserer Tage eintauchen und die Freiheiten vor allem im Jazz auskosten lässt.
Roter Faden ist übrigens das unvollendet gebliebene Requiem: denn der Protagonist ist überzeugt, dass er nur deshalb erneut (oder immer noch) auf Erden weilt, um dieses Werk als sein kompositorisches Vermächtnis endlich fertigzustellen. Aber was, wenn es tatsächlich fertig ist?
Die Autorin löst diese Frage auf sehr elegante Weise – sie lässt den Dingen ihren Lauf und lässt sie gleichzeitig in der Schwebe… Uns Leser*innen beschert sie damit ein kurzweiliges Lesevergnügen, auch für diejenigen, die sich nicht als Musikkenner bezeichnen würden. Es genügt, Musik zu lieben und sich gerne ihrem Zauber zu ergeben, um mit diesem Mozart unserer Tage schnell Freundschaft zu schließen.
Einen ganz anderen Zugang zu Mozart wählt der norwegische Jazzpianist Ketil Bjørnstad. In seinem Memoir „Mein Weg zu Mozart“ schreibt er sowohl über seinen eigenen Werdegang als Musiker als auch über wichtige Stationen aus Mozarts Leben. Er tut dies kapitelweise abwechselnd, was einigermaßen kühn anmutet, weil es den Eindruck erweckt, als wäre die Entwicklung Bjørnstads mit der des Salzburger Wunderkinds vergleichbar.
Lesenswert ist diese Doppelbiografie jedoch, weil manche Besonderheit der Familie Mozart psychologisch klug ausgeleuchtet wird, die in anderen Publikationen vielleicht eher zu kurz kommt, etwa das ewige Hintanstehen-Müssen von Mozarts ebenfalls hochbegabter Schwester Nannerl, oder auch der Vater-Sohn-Konflikt, der sich aus dem intensiven Briefwechsel zwischen Leopold und Wolfgang nachzeichnen lässt.
Auf der anderen Seite erzählt Bjørnstad auch sehr anschaulich und stellenweise anrührend von seiner eigenen Entwicklung, von Höhen und Tiefen auf seinem künstlerischen Lebensweg, von seinen Anfängen als des klassisch ausgebildeter Pianist und die Wendung zum Jazz-Musiker.
Als solcher war er 2016 bereits im Landsberger Stadttheater zu erleben – und es besteht die Hoffnung, dass dies, sobald die Corona-bedingten Umstände und der Terminkalender des gefragten Künstlers es erlauben, vielleicht im nächsten Jahr wieder der Fall sein wird. So jedenfalls die Auskunft von Edmund Epple, der für das Musikprogramm im Theater verantwortlich zeichnet,
Eva Baronsky: Herr Mozart wacht auf. Roman. Aufbau Verlag Berlin 2009. als TB 320 Seiten.
Ketil Bjørnstad: Mein Weg zu Mozart. Norweg. Orig. 2014. Dt. Ausg. Insel Verlag Berlin 2016. 443 Seiten.
Besprechung vom August 2020