Zsuzsa Bánk : Der Schwimmer
Wenn es sich um einen Film handelte, würde man Zsuzsa Bánks „Der Schwimmer“ ein road movie nennen. Die Protagonisten sind andauernd unterwegs, nicht, um irgendwo anzukommen, sondern weil sie aus ihrem „richtigen“ Leben herausgefallen sind, weil es nur immer wieder eine Bleibe für sie gibt, aber keinen Lebensmittelpunkt.
„Unser Vater, Isti und ich, [wir hatten] etwas wie eine stille Abmachung getroffen, die uns verband. Unser Vater nahm uns mit, er suchte Häuser für uns, in denen sich irgendwer um uns kümmerte, und Isti und ich, wir fragten dafür nicht länger, wann unsere Mutter zurückkommen würde oder wann wir zu ihr fahren würden…“.
„Wir“ ist das erste Kapitel überschrieben, in dem die heranwachsende Kata sich, ihren kleineren Bruder und ihren Vater vorstellt. Und ihre Mutter, aber die ist da schon fort – ist ohne Abschied, ohne Gepäck, ohne eine einzige Andeutung in einen Zug Richtung Westen gestiegen, die selten fuhren. „Meine Mutter muß lange gewartet haben. Sie hatte genügend Zeit, es sich anders zu überlegen. Um zurückzukommen. Um uns Auf Wiedersehen zu sagen. Um uns noch einmal anzuschauen.“
Die letzten drei Kapitel (alle sind mit Vornamen überschrieben) heißen „Kálmán“ (wie der Vater), „Isti“ (wie der Bruder) und „Kata“ (wie die Ich-Erzählerin). Dazwischen liegen 13 weitere Kapitel, deren mittleres „Katalin“ (wie die Mutter) heißt. So wird schon durch diesen symmetrischen Aufbau deutlich, dass sich die Reise der verlassenen Drei um das Herzstück, um den abwesenden Mittelpunkt ihrer Familie dreht.
Dabei geht es den Kindern und ihrem Vater nicht einmal so schlecht. Sie finden Unterschlupf bei nahen Verwandten, die frag- und klaglos ihre kleinen Häuser oder Wohnungen mit ihnen teilen. Immer sind es Äußerlichkeiten, die einen Aufbruch, meist überstürzt, notwendig werden lassen.
Für die Kinder ist es immer wieder schmerzhaft, dass sie aus ihrer Umgebung, in der sie gerade zarte Wurzeln geschlagen haben, wieder herausgerissen werden. Aber sie haben gelernt, sich damit abzufinden. „Zu den wenigen Dingen, von denen wir sicher sagen konnten, dass sie waren, wie sie waren, gehörte, dass nichts von Dauer war, wenigstens nicht bei uns,“ lautet die schlichte Erkenntnis.
Der Aufstand in Ungarn und seine Niederschlagung 1956 ist Ursache und Ausgangspunkt der familiären Katastrophe, da sind Kata und Isti noch Kleinkinder, der August 1961 wird erwähnt, als man den Deutschen „einen Zaun zwischen Ost und West gesetzt hatte“, und als der Auflösungsprozess auch die aufeinander eingeschworenen Dreiergemeinschaft längst ergriffen hat, da hat in Prag der 1968er Frühling schon ein gewaltsames Ende gefunden. Aber diese politischen Daten ergeben kein Zeitgerüst, an dem eine Handlung festzumachen wäre. „Für mich gab es nur Zeiten, die ich ertragen, und Zeiten, die ich kaum ertragen konnte.“
Was den Roman „Der Schwimmer“, das von der Kritik enthusiastisch gelobte Debut von Zsuzsa Bánk, so lesenswert macht, ist die stringent durchgehaltene Perspektive und Diktion. Als Kata die Geschichte ihres andauernden Unterwegsseins erzählt, ist sie schon bald erwachsen, aber sie bewahrt im Rückblick die Perspektive des Kindes mit all ihren nüchternen, manchmal frappierend einfachen Erkenntnissen – ganz ohne betuliche Rührseligkeit oder unglaubwürdige Naivität. Es ist so, wie es ist, und was weh tut, tut weh, aber selbst kleinste Freundlichkeiten erlangen große Bedeutung in diesem Leben, das aus so Wenigem seine Fülle gewinnt.
Auch die Sprache dieses Romans besteht aus Wenigem, aber das wird genau kalkuliert und genau platziert mit allen Schattierungen. Die große Kunst der Einfachheit, der Genauigkeit mit sparsamsten Mitteln wird hier vorgeführt, und man kann sich am Ende des Eindrucks nicht erwehren, dass die bedeutsamen, die existenziellen Fügungen des Lebens vielleicht nur auf solche Weise dargestellt werden können: Schritt für Schritt, behutsam und schlicht, damit nicht womöglich die Sprache der Zerbrechlichkeit des Glücks zuvorkommt.
Zsuzsa Bánk: Der Schwimmer. Roman. Fischer Verlag Frankfurt, 2002. 2004 als Fischer Taschenbuch 15248. 285 Seiten.
Besprechung vom Feb. 2005