John von Düffel : Vom Wasser

Schwimmen als Existenzform
John von Düffels spannende Familienchronik „Vom Wasser“

Die Badesaison hat begonnen. Ob im Freibad, im Lech oder an einem See: das Wasser umfängt uns meist als freundliches Element und macht das Schwimmen oder auch nur Planschen zu einem sommerlichen Vergnügen. Meist denken wir nicht weiter drüber nach, nicht über die Beschaffenheit des Wassers, seine Farbe, seinen Geruch, auch nicht über das Zusammenspiel der Bewegungen beim Schwimmen, diese selten erfahrene Schwerelosigkeit.

John von Düffel hat in seinem Roman „Vom Wasser“ für die Annäherung an dieses Element eine Sprache gefunden, die ihresgleichen sucht. Die Beschreibungen der unterschiedlichen Gewässer seines Lebens, denen er sich schwimmend bekannt macht, die er sich schwimmend vertraut macht, sind voller poetischer Vielfältigkeit. Allein der unerschöpfliche Reichtum dieser Beschreibungen würde das Buch schon lesenswert machen. Aber das Wasser liefert eigentlich nur den Hintergrund für eine Firmen- und Familiengeschichte, die von den Anfängen bis zum Erzähler-Ich fünf Generationen umfasst.

Es fängt ganz harmlos an. Das wird beschrieben, wie die Kinder der jüngsten Generation schwimmen lernen. Ort des Geschehens ist die Diemel, „dieser glasklare, pappelduftende Fluß, der unseren Füßen immer Halt bot auf dem steinigen, deutlichen Untergrund, wenn sie ermüdeten oder unsicher wurden oder wenn uns plötzlich eine leise Unruhe befiel, die Angst und Ahnung, daß das Wasser seinen eigenen unergründlichen Willen hatte.“

Die Diemel umschließt zusammen mit einem anderen Flüsschen, der Orpe, das Gelände, auf dem der Ururgroßvater Ende des 19. Jahrhunderts eine Papierfabrik errichtete. Die Orpe ist das genaue Gegenteil der Diemel, schwarz, ruhig und ohne munteres Plätschern dahinfließend, in ihren Tiefen ein unheimliches Fabelwesen bergend, den Harkemann, der sich zuweilen seine Opfer holt.

So unterschiedlich wie die beiden Flüsse sind auch die jeweiligen Firmenvorstände. Die Söhne, die immer so ganz anders geraten, als die Väter sich das erwarten, und die dennoch mit ihren ganz unterschiedlichen Talenten die Firma durch Weltkriege, Wirtschaftskrisen und andere Fährnisse hindurchlenken. Und immer umspielen die beiden Flüsschen zuverlässig das Stückchen Land mit dem nicht gerade verheißungsvollen Namen „Missgunst“, umspielen die Geschicke der Papierfabrik und ihrer Besitzer.

Der Ich-Erzähler, der die Geschichte mit einigem Abstand erzählt - denn die Firma ist zu dieser Zeit nicht mehr im Familienbesitz - vermittelt glaubhaft den Sog, den der Ort seiner Kindheit immer noch auf ihn ausübt, und dieser Sog bezieht sich nicht nur auf die Familienchronik, sondern eben auch auf die ständige Präsenz des Wassers. Und so wird die Verbundenheit mit dem flüssigen Element zu einer schicksalhaften Konstante in seinem Leben, so dass er am Ende sagen kann: „Wir kehren immer zum Wasser zurück.“

John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, promovierter Philosoph, Theater- und Filmkritiker und Übersetzer, war bereits Autor viel gespielter Theaterstücke, als er 1998 seinen Romanerstling „Vom Wasser“ vorlegte, der gleich mit einigen Preisen ausgezeichnet wurde. Inzwischen sind weitere Romane gefolgt, aber auch der Band „Schwimmen“ in der dtv-Reihe „Kleine Philosophie der Passionen“, in der Düffel, selbst begeisterter Langstreckenschwimmer, ausführlich seiner Leidenschaft freien Lauf lassen kann, über die Seinsweise im Wasser zu räsonieren.

John von Düffel: Vom Wasser. Roman. DuMont Buchverlag Köln 1998. dtv-Taschenbuch Nr. 12799.

Besprechung vom Juni 2004

 

Sabine Skudlik