Susanne Betz : Tanz in die Freiheit
Zwischen Revolution und Terror
Ein historischer Roman führt ins freiheitliche Paris
Susanne Betz, Hörfunkredakteurin beim BR, promovierte Historikerin und erfolgreiche Schriftstellerin, hat erst jüngst ihren dritten historischen Roman vorgelegt. Er spielt, wie auch die beiden vorigen im 18. Jahrhundert, und diesmal führt er von der verschlafenen Kleinstadt Weimar ins nicht nur wunderbare und weltoffene, sondern auch revolutionäre Paris.
Felix und Eleonore, ein Geschwisterpaar Anfang Zwanzig, lebt und langweilt sich in Weimar, in dem zwar Geistesgrößen (Goethe, Schiller, Wieland, Herder und andere) auf engstem Raum versammelt sind, aber aufregend ist das für die beiden neugierigen und wachen Adelssprösslinge nicht. Ihr konkreter Alltag ist vielmehr zwischen höfische Etikette, anödende gesellschaftliche Verpflichtungen und missgünstigen Klatsch und Tratsch eingezwängt.
So ergreifen sie die Gelegenheit, die provinzielle Enge des deutschen Kleinstfürstentums zu verlassen, als sie wegen einer komplizierten Erbangelegenheit nach Paris reisen müssen. Das geschieht im Herbst 1791. Der Sturm auf die Bastille ist zu diesem Zeitpunkt gut zwei Jahre her. Für die raren Neuigkeiten, die zuvor aus der Hauptstadt der Revolution bis nach Weimar drangen, waren Felix und Eleonore ohnehin schon die ganze Zeit empfänglich. Nun tauchen sie ein in das pulsierende Leben der französischen Hauptstadt, in der die Aristokratie entmachtet ist und „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ausgerufen wurden. Aber noch sind diese blutig erkämpften Ideale nicht in eine neue Ordnung überführt, noch sind die egalitären Gedanken keine unumstößlichen Gewissheiten. Die Geschwister müssen sich nicht nur in einem fremden Land, sondern auch in einer geistigen Umbruchszeit zurechtfinden. Und zunehmend greift der nachrevolutionäre Terror um sich…
Eine instabile Zeit also, aber für die beiden jungen Protagonisten bedeutet sie Aufbruch in eine zuvor nicht gekannte Freiheit, in der sie neue Ideen, neue Mode, neue Lebenslust, vor allem aber die Liebe und faszinierende Menschen kennenlernen. Stand Eleonore in Weimar noch in einer heimlichen Verbindung mit Goethes unstandesgemäßer Liebschaft Christiane Vulpius, so wird sie in Paris die Freundin von Olympe de Gouges, einer frühen Vorkämpferin für Frauenrechte. De Gouges (1748-1793) hatte erkannt, dass während der Revolution die Frauen schlicht übersehen worden waren und verfasste, um das zu korrigieren und den Schwung der Revolution auszunutzen, eine „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“. Ihrem unerschrockenen, aufrechten Bemühen wurde durch die Guillotine ein vorzeitiges Ende gemacht…
Ein Kunstgriff von Susanne Betz, den sie schon in ihren früheren Romanen angewendet hat, funktioniert auch hier prächtig: Sie lässt ihre erfundenen Romanpersonen (Eleonore, Felix und noch etliche andere) auf historische Gestalten treffen und bettet diese Begegnungen in detailgetreu recherchiertes und erzählerisch opulent ausgestattetes Zeitgeschehen. Auf diese Weise wird in ihren Romanen Geschichte lebendig, als ob man mitten drin wäre.
Es ist eine kühn erfundene, ziemlich abenteuerliche Handlung, in die man als Leser:in hineingezogen wird, aber man folgt den beiden jungen Hauptpersonen gerne auf ihrer geistigen, politischen und nicht zuletzt erotischen Entdeckungsreise und freut sich nach 350 Seiten und allerhand gefahrvollen Verwicklungen über ein glückliches Ende.
Ein wenig Hintergrundwissen über die Zustände im ausgehenden 18. Jahrhundert in Deutschland und Frankreich ist nicht Voraussetzung, erhöht aber den Lesegenuss, mit dem man all den vielfältigen Bezügen und akribisch recherchierten Details aus dem Alltagsleben folgt.
Und am Ende ist eine Erkenntnis nicht von der Hand zu weisen: Toleranz und Terror sind zu allen Zeiten Nachbarn, und freiheitliche Tugenden müssen immer wieder aufs Neue verteidigt werden.
Susanne Betz: Tanz in die Freiheit. Bertelsmann Verlag München 2016. 351 Seiten.
Besprechung vom November 2016