Susanne Betz : Falkenjagd

Ungewöhnliche Leidenschaften
Von einer Frau, die ihren Verstand gebraucht

Sie ist das dritte (überlebende) Kind von insgesamt vierzehn. Das dritte einer großen und sehr heterogenen Kinderschar. Die dritten Kinder, das kennen viele aus Erfahrung (und es wurde auch in der mittlerweile klassischen Studie „Brüder und Schwestern“ von Karl König (13. Aufl. 2008, Vandenhoeck & Ruprecht) dargelegt) haben durchaus anarchisches Potential. Sie wissen, was sie wollen, sie beharren auf ihrer Meinung, sie gehen ihren Weg, wenn auch nicht immer geradlinig, und - wenn es sein muss - begehren sie auf gegen Autoritäten.

Friederike hat sich eingerichtet. Sie schlängelt sich durch die Fährnisse ihrer unerfreulichen Kindheit, sie pflegt ihre harmlosen Geheimnisse und kuriosen Leidenschaften, sie behält sich in der Enge des elterlichen Hauses ihren kleinen Freiraum. Das wird auch später ihr Prinzip sein.

Die Rede ist von Prinzessin Friederike Louise (*1714), Tochter des preußischen „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelm I. und Schwester des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich II, genannt „der Große“. Doch von ihm ist in diesem Buch nur am Rande die Rede. Im Mittelpunkt steht seine zwei Jahre jüngere Schwester.

Diese ist ihrem Vater zwar ans Herz gewachsen, aber doch nicht so sehr, dass er sie nicht als Manövriermasse im politischen Kräftespiel einsetzen würde, wenn sein Kalkül es erfordert. Friederike wird als 14-jährige verheiratet, an einem Mann, den sie nicht kennt, der aber für ihren Vater und seine politischen Absichten wichtig werden könnte: an Karl („Charles“), Markgraf von Ansbach.

Ihrem (Über-)Lebensprinzip, sich kleine Freiräume zu schaffen und sie behutsam zu erweitern, auf der eigenen Meinung zu beharren und ansonsten klug schweigen, dem bleibt sie auch in ihrer neuen Heimat treu. Dennoch droht sie in der Enge der höfischen Etikette und der Langeweile des erzwungenen Müßiggangs fast unterzugehen. Bis sie nach der Geburt des Stammhalters endlich ihre Ruhe hat vor dem ungeliebten Ehemann, der sich ohnehin mehr für seine Mätresse interessiert.

Friederikes geheime Leidenschaften erwachen zu neuem Leben. In der Abgeschiedenheit von Gut Schwaningen, wohin sie sich zurückzieht, nimmt sie sich die Freiheit, ihnen nachzugeben. Sie erlaubt sich, ihren eigenen klugen Kopf zu gebrauchen. Und sie ist charmant genug, nach und nach ihre Bediensteten und schließlich auch ihre Untertanen für sich einzunehmen. Und am Ende entdeckt sie sogar noch die wahre (und erotische) Liebe.

In ihrem fesselnden Roman „Falkenjagd“ greift sich die Susanne Betz diese historisch eigentlich unbedeutende Gestalt heraus und lässt ihr nichts weniger als eine Emanzipationsgeschichte angedeihen. Historisch gesichert ist nur, dass die Gemahlin des Markgrafen jahrzehntelang zurückgezogen im freiwillig gewählten Exil ihres Landschlosses Schwaningen lebte. Genau diese Weltabgeschiedenheit aber hat in der Fantasie der Autorin, die als Historikerin und gebürtige Ansbacherin auch ein ureigenes Interesse an der Geschichte ihrer Heimatstadt mitbringt, wunderbare Blüten treiben lassen.

Friederike birgt in sich nämlich eine lodernde Leidenschaft für die Naturwissenschaften, die zur Zeit der Aufklärung von einem lebhaften Forschungstrieb befeuert wurden. Aber das war natürlich nichts für Frauen, denen man ja nicht einmal zutraute, einen eigenen Verstand zu besitzen, geschweige denn, ihn zu gebrauchen. „Sapere aude“, das spätere Losungswort der Aufklärung, richtete sich ausschließlich an männliche Gehirne. Und speziell die Anatomie des menschlichen Körpers, worauf sich die Leidenschaft der jungen Prinzessin und späteren Markgräfin richtet, war eine gänzlich unweibliche Wissenschaft. Im Roman findet die unerschrockene Friederike Mittel und Wege, ihre wissenschaftliche Neugier zu befriedigen.

Höchst interessant und amüsant ist es darüber hinaus zu lesen, wie sie sich in der erdrückenden Enge des Hoflebens ihre eigenen kleinen Freiheiten schafft und wie sie sich nach und nach von Zwang und Etikette befreit – auch ganz konkret von Perücke und Puderschicht der Rokokomode. Die Leser:innen werden sinnenfreudig in die alltägliche Lebenswelt der Zeit entführt, sehr anschaulich erfährt man auch ihre weniger angenehmen (un-)hygienischen Begleiterscheinungen.

Man spürt förmlich die Lust und die Akribie, mit der die Autorin bei der Recherche über die Lebensumstände des 18. Jahrhunderts zu Werke gegangen ist. Ganz nebenbei lernt man auch noch gänzlich Unbekanntes, zum Beispiel über die titelgebende Falkenjagd, die Markgraf Karl mit solcher Leidenschaft betrieb, dass er beinahe im Staatsbankrott endete…

Ein überaus empfehlenswertes Buch – nicht nur als unterhaltsame Ferienlektüre!

 

Susanne Betz: Falkenjagd. Historischer Roman. Blanvalet (Verlagsgruppe Random House) München 2008. 348 Seiten.

Besprechung von August 2010

Sabine Skudlik