Alex Capus : Léon und Louise

Eine „Jahrhundertliebe“

Durchaus doppeldeutig gemeint ist diese Überschrift: Die Liebe zwischen Léon und Louise, von denen Alex Capus in seinem gleichnamigen Roman erzählt, währt über weite Strecken des 20. Jahrhunderts, übersteht die Schrecken und die Trennungen der beiden Weltkriege, die dieses Jahrhundert prägten und ist gleichzeitig so außergewöhnlich in ihrer Ausdauer und Großzügigkeit, dass man das Etikett „Jahrhundertliebe“ auch gut als Superlativ verstehen kann.

Der Roman setzt ein bei der Beerdigung Léons, bei der unerwartet auch Louise auftaucht, von den Hinterbliebenen beäugt mit der gespielten Entrüstung derer, die meinen, einen Anschein von bürgerlicher Wohlanständigkeit wahren zu müssen. Dabei würde sich Yvonne, Léons langjährige Ehefrau, wenn sie denn noch lebte, über Louises Anteilnahme freuen.

In ausführlichen Rückblicken erzählt ein Enkel Léons die Geschichte seines Großvaters, wie es ihn von der Atlantikküste in ein kleines Provinznest im Herzen Frankreichs verschlägt, wo er diesem fremden Mädchen begegnet, das seine Warmherzigkeit und Empathie unter zuweilen burschikosen Zügen verbirgt. Die beiden sind, so weiß es der/die Leser:in und so spürt es der jugendliche Léon, füreinander bestimmt. Sie lassen sich Zeit beim Kennenlernen und als sie endlich zueinander finden, ist es fürs erste schon wieder vorbei. Im Jahr 1918, der erste Weltkrieg ist fast vorüber, zerreißt ein Artillerieangriff das junge Glück. Beide glauben von dem bzw. der jeweils anderen, er bzw. sie sei darin umgekommen.

Als sie sich zehn Jahre später in Paris unvermutet sehen und gleich wieder verlieren, ist Léon mittlerweile verheiratet und erwartet mit seiner Frau das zweite Kind. Yvonne ist es, die ihren Mann ermuntert, sich auf die Suche nach seiner Jugendliebe zu machen. Seine Wiederbegegnung mit Louise wird, sie ist sich sicher, „künftig nicht trennend zwischen ihnen stehen, sondern sie als gemeinsame Erinnerung verbinden.“ Yvonne macht sich Léons Eskapade zu eigen, zu einer „Episode ihrer Ehe“.

Um es vorweg zu nehmen, auch der 2. Weltkrieg bringt jahrelange Trennung und Ungewissheit für das Liebespaar. Über Jahre hinweg haben sie nur losen Kontakt, wissen zeitweise gar nichts voneinander.

Alex Capus erzählt diese Geschichte mit der Souveränität des entspannten Erzählers, mal in großen Schritten voranschreitend, dann wieder detailverliebt in die Gewöhnlichkeiten des Alltags, der Léons relativ unspektakuläres Leben mit seiner Frau und fünf Kindern bestimmt. Liebevoll porträtiert der Autor die französische Provinz, das Pariser Großstadtmilieu, und erzählt vor allem anschaulich von der Zeit der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht. Seine Sprache ist treffsicher und lakonisch, lebendig und amüsant, schon allein deswegen ist das Vergnügen ganz auf des Lesers Seite, auch wenn manche Details, vor allem in der Figur der Yvonne, psychologisch nicht auf ganz festem Fundament stehen.

 

Alex Capus: Léon und Louise. Roman. Carl Hanser Verlag München 2011. 314 Seiten. 19,90 Euro.

Besprechung von September 2011

Sabine Skudlik