Johanna Adorján : Ciao

Leute von gestern im heutigen Leben

Man hat es nicht leicht heutzutage. Frau auch nicht. Es wird zunehmend schwierig, sich korrekt auszudrücken, ohne irgendjemanden auszugrenzen oder sich durch negative Vorurteile zu outen. Debatten über Sexismus (#MeToo) und Rassismus (Black Lives Matter) werden weltweit geführt – mit unterschiedlicher Intensität. Cancel Culture ist ein vielverwendetes Schlagwort und Diskussionen über gendergerechte Sprache werden vor allem hierzulande schnell emotional.

Mittendrin und unversehens zum Feindbild mutiert ist – der „alte weiße Mann“, der gar nicht alt nach Jahren sein muss, sondern als alt im Geiste gilt, wenn er nicht verstanden hat, dass er mit seinem Festhalten an vermeintlich naturgegebenen patriarchalen Strukturen und Verhaltensweisen nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist.

Einen solchen stellt Johanna Adorján in den Mittelpunkt ihres neuen, sehr vergnüglichen Romans „Ciao“.

Der Plot ist nicht besonders elaboriert oder verwickelt, sondern im Gegenteil recht vorhersehbar. Aber es ging der Autorin wohl auch eher darum, die handelnden Personen in ihrem je eigenen Umfeld zu zeigen – Klischees gerne inbegriffen.

Und irgendwie sind sie doch alle ganz sympathisch in ihrem kleinen komplizierten Alltag. So etwa der mittelalte Feuilletonist Hans Benedek in seinem Bemühen, lässig und ganz auf der Höhe der Zeit zu sein – und niemanden merken zu lassen, dass er in der rasend schnell sich verändernden Kulturszene manchmal nicht mehr ganz genau mitbekommt, wer oder was gerade „angesagt“ ist. Er zehrt vom Ruf seiner „Edelfeder“ und schreibt, worüber er eben Lust hat zu schreiben. Erfolg und Aufmerksamkeit scheinen ihm sicher!

Öffentliche Wahrnehmung garantiert ist auf jeden Fall für Xandi Lochner: 24 Jahre jung, gescheit, schlagfertig, redegewandt, und vor allem politisch korrekt in jeder Lebenslage. Sie ist selbst überrascht vom schnellen Erfolg ihrer Posts in den sozialen Medien, mit ihren aufgeklärt-feministischen Blog-Einträgen trifft sie offenbar einen Nerv. Sie hat eine gewisse Berühmtheit erlangt und wird von einer Talkshow zum nächsten gereicht.

Hans Benedeks Frau Henriette ist feministischem Denken gegenüber durchaus aufgeschlossen. Ihre eigenen dichterischen Ambitionen sind komplett in den Hintergrund gerückt, seit sie mit Benedek zusammen ist. Für sie ist es gerade wichtiger, den Draht zu ihrer schwer pubertierenden 13-jährigen Tochter nicht zu verlieren.

Johanna Adorján hat die Gabe, mit wenigen Sätzen und knappen Dialogen typische Szenen entstehen zu lassen, so dass man/frau beim Lesen vergnügt in sich hineinschmunzelt und innerlich nickt: Genauso isses!

Ein witziges Detail ist es, dass im Roman am Rande die „Girlies“ erwähnt werden, eine junge postfeministische Bewegung in den 1990er Jahren, von deren Protagonistinnen Johanna Adorján selbst eine war.

Sehr reizvoll außerdem, dass Adorján lustvoll-satirisch über ihr eigenes Metier schreibt, also die Medienwelt, Zeitungsredaktionen, das Feuilleton! Wer ihre journalistischen Texte rezipiert (sie war früher bei der FAS und schreibt seit einigen Jahren hauptsächlich für die SZ), erkennt sofort ihre „Schreibe“ wieder.

Denn so liebevoll-nachsichtig Adorján ihre Personen mit ihren Eigenheiten und Schwächen zeigt – jede Szene ist mit hintergründiger Ironie getränkt. Dabei geht es hier nicht um die Frage, wer Recht hat oder wie radikal Ansichten sein und wie korrekt sie vorgetragen werden müssen – zum Glück!

Vielmehr könnte man den Roman auch als Plädoyer für weniger Aufgeregtheit, dafür mehr Gelassenheit in sogenannten Grundsatzfragen lesen – und gleichzeitig für mehr Freundlichkeit im Umgang miteinander.

Johanna Adorján: Ciao. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 269 Seiten.

Besprechung vom Okt. 2021

Sabine Skudlik