Kathrin Aehnlich : Alle sterben, auch die Löffelstöre

Ein junger Mann stirbt, gerade mal Vierzig geworden, an Krebs. Er hat eine Freundin seit Kindergartentagen. Sie bittet er, in einem Brief, der ihr nach seinem Tod übergeben wird, auf der Trauerfeier eine Rede zu halten, „ein bisschen Geschichtenerzählen, ohne Pathos“, weil er ihr als Einziger zutraut, den richtigen Tonfall zu finden. Die wenigen Tage zwischen dem 30. Dezember, an dem Paul stirbt, und seiner Beerdigung, bilden den Handlungsrahmen für den Roman „Alle sterben, auch die Löffelstöre“. Tatsächlich aber wird das ganze Leben von Paul und seiner Vertrauten Skarlet aufgefächert.

Skarlet, deren Gedanken und Gefühle in personaler Erzählweise den Stoff für die 250 Seiten „Vergangenheitsbewältigung“ bilden, ist wenige Monate älter als Paul und erkennt in ihm schon am ersten Tag, da er im Kindergarten auftaucht, einen Verbündeten. Von da an sind sie Freunde, obwohl es Freundschaft zwischen Jungen und Mädchen angeblich nicht geben kann.

Die beiden wachsen in der DDR auf, in einer Stadt im Braunkohlerevier, und dort leben sie auch noch als Erwachsene. Zwar entdecken beide nach dem Mauerfall für sich je unterschiedliche Regionen der großen weiten Welt, aber ihr Wohnort und auch ihre Heimat bleibt diese nicht namentlich genannte Stadt (bei der es sich vermutlich um Leipzig handelt).

Ihre frühesten Lebensmittelpunkte – nämlich ihre jeweiligen Herkunftsfamilien, in denen sie aus unterschiedlichen Gründen nicht glücklich sind, sowie der Kindergarten unter dem rigiden Regiment der Erzieherin Tante Edeltraut – werden immer wieder Gegenstand von Reflexionen und auch von Erinnerungsstunden voller Heiterkeit im Krankenzimmer. „Weißt du noch?“ heißt das Stichwort.

Paul und Skarlet sind Wesensverwandte, ein bisschen anarchisch veranlagt, fantasievoll, unkonventionell, einfühlsam, zur rechten Zeit auch dickköpfig. Indem sie sich miteinander an ihre Kindheit und Jugend in der DDR erinnern, wird nebenbei auch ein Stück Zeitgeschichte lebendig.

Wenn der Gegenstand nicht so todtraurig wäre, könnte man den Roman kurzweilig nennen. Er besteht in einem scheinbar absichtslos dahin mäandernden Gedankenfluss Skarlets, die sich von einer Assoziation in die nächste treiben lässt. Die Autorin verknüpft auf diese Weise virtuos früheste Kindheitserinnerungen mit Episoden aus dem Schüler- und Studentenleben, zeigt ohne psychologischen Zeigefinger auf, wie das Erwachsenenleben der beiden Freunde von diesen frühen Erlebnissen geprägt ist und beschreibt fast nebenher die „Trauerarbeit“, die Skarlet ohne Sentimentalität leistet und wie sie der jungen Witwe ihres Freundes eine unentbehrliche Stütze ist.

Wie bewährt sich Freundschaft im Ausnahmezustand, angesichts der Diagnose „inoperabel, hoffnungslos“? Wie begegnet man einem Todkranken, verschafft ihm und sich selbst Trost, ohne sich gegenseitig etwas vorzulügen? Wie schafft man es, Trauer zuzulassen und gleichzeitig stark und hilfreich zu sein?

Ein sehr bewegendes und berührendes Buch, das vermutlich gar nicht bewegen und berühren will, es aber gerade durch seinen unaufgeregten und unpathetischen Ton auf authentische Weise tut.

 

Kathrin Aehnlich: Alle sterben, auch die Löffelstöre. Roman. Arche Literatur Verlag Zürich-Hamburg 2007. 250 Seiten.

Besprechung vom Februar 2008

Sabine Skudlik