Tracy Chevalier : Zwei bemerkenswerte Frauen

Spuren aus grauer Vorzeit
Zwei ungewöhnliche Frauen teilen die Leidenschaft für Fossilien

Zwei ungleiche Frauen, die eine Leidenschaft teilen: Sie sammeln Fossilien. Das klingt zunächst nicht nach einer spannenden Geschichte, aber die Autorin macht aus den historisch verbürgten Figuren lebendig sprechende und eigenwillig handelnde Individuen, über deren Schicksal man mehr erfahren möchte.

Die Autorin ist Tracy Chevalier, die mit „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ einen Bestseller geschrieben hat, der durch die Verfilmung mit Scarlett Johansson und Colin Firth noch bekannter wurde. Historische Stoffe, fantasievoll angereichert und lebendig mit Zeitkolorit ausgestattet, sind seitdem ihr „Markenzeichen“. Auch in dem Werk „Zwei bemerkenswerte Frauen“ kommt diese Stärke zum Tragen.

Elisabeth Philpot zieht nach dem Tod ihrer Eltern mit ihren beiden Schwestern in das kleine Städtchen Lyme Regis an der englischen Südküste. Alle drei können sich nur wenig Hoffnung auf eine standesgemäße Heirat machen, auch wenn sie zuvor in London durchaus gesellschaftliches Ansehen genossen. Aber ohne ausreichende Mitgift und ohne besonders reizende äußere Vorzüge stehen die Chancen schlecht. Also lassen sich die drei Schwestern von ihrem Bruder in die Provinz „abschieben“.

Elizabeth entdeckt dort ihre Leidenschaft für Fossilien, die am Strand in großer Menge zu finden sind. Und sie lernt dort ein junges Mädchen aus dem Arbeitermilieu kennen, das ebenfalls eine Leidenschaft für die versteinerten Überreste prähistorischer Lebewesen hegt und ihre Fundstücke, die sie mit traumwandlerischer Sicherheit entdeckt, als Kuriositäten an Sammler und Touristen verkauft.

Dass Mary Annings spektakuläre Funde für die Wissenschaft einen unschätzbaren Wert haben, das weiß die Finderin, die über keinerlei Bildung verfügt, selbst nicht. Ihre um 20 Jahre ältere Freundin Elizabeth Philpot aber ahnt es und sorgt dafür, dass die Wissenschaft davon erfährt. „Die Wissenschaft“ – das ist zu dieser Zeit, nämlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts, eine rein männlich besetzte Domäne. Kein Wunder, dass die beiden Frauen zunächst einmal überhaupt nicht ernst genommen werden und schließlich, als sich der Lauf der Ereignisse zuspitzt, darum kämpfen müssen, in den exklusiven Männerzirkeln Gehör zu finden.

Auch die Tatsache, dass es sich tatsächlich um prähistorische Lebewesen handelt, deren Reste sich dem kundigen Auge der jungen Mary darbieten, wird den beiden Frauen erst nach und nach klar. Und schon sind sie mittendrin in einer Diskussion, die das bis dahin vorherrschende Weltbild ins Wanken bringt. Wo ist Gott in seiner Allmacht, wenn ganze Gattungen von Tieren einfach aussterben? Rüttelt das nicht an der überlieferten Vorstellung, Gott habe die Welt in aller Perfektion erschaffen, und zwar vor rund 6000 Jahren innerhalb von sechs Tagen? (Diese Diskussion ist gar nicht so weit entfernt, wenn man bedenkt, dass auch im 21. Jahrhundert der so genannte „Kreationismus“ nicht wenige Anhänger hat.)

Elizabeth Philpot und Mary Anning verbindet eine höchst ungewöhnliche Freundschaft, über Standesgrenzen und einen großen Bildungs- und Altersunterschied hinweg. Diese Freundschaft wird auf die Probe gestellt, als beide um die Gunst desselben Mannes werben und vermeintlich zu Konkurrentinnen werden… Auch wenn alle wichtigen Personen im Roman historisch verbürgt sind – die Romanze zwischen Mary und Colonel Birch ist natürlich frei, wenn auch gut erfunden. Ein bisschen was fürs Herz, das sei der Autorin verziehen (auch wenn sie in einer Passage sehr nah an die Grenze zum Gefühlskitsch kommt).

Tracy Chevalier erzählt den Roman aus einer strikt personalen Perspektive. Der Clou dabei ist, dass sie abwechselnd den Blickwinkel von Elizabeth und den von Mary einnimmt. Der wechselnde Erzählerstandpunkt wird auch auf der Stilebene schön heraus modelliert: Aus Mary sprudelt es lebendig, sie spricht, so wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Elizabeth drückt sich gewählter, diplomatischer und differenzierter aus. Beide Perspektiven kontrastieren miteinander, ergänzen sich aber auch und lassen deutlich werden, dass diese beiden „bemerkenswerten Frauen“ ein gemeinsames emanzipatorisches Ziel haben: nämlich in ihrer Kompetenz und in ihrer Leidenschaft für die Sache ernst genommen zu werden!

Besonders empfehlenswert ist bei diesem Roman die etwas gekürzte und autorisierte Hörbuchfassung, bei der Rike Schmid den Kapiteln aus Marys Perspektive und Eva Mattes der Elizabeth auf sehr einfühlsame Weise ihre Stimme verleihen.

 

Tracy Chevalier: Zwei bemerkenswerte Frauen. Roman (engl. Orig. 2009, dt. Albrecht Knaus Verlag 2010)
Als Taschenbuch bei btb Bd. 74305 (367 Seiten)
Als Hörbuch bei Random House Audio (410 Min.)

 Besprechung von November 2015

Sabine Skudlik